Modern und dennoch rĂŒckschrittlich? Wie (soziale) Medien Weihnachten beeinflussen

Nichts ist so von Traditionen durchsetzt wie Feste und Feiertage. Da sie jedes Jahr zur gleichen Zeit begangen werden, können die besten Vergleiche gezogen und Trends festgestellt werden. Gerade Weihnachten – als das in vielen Kulturen grĂ¶ĂŸte Fest des Jahres – bietet sich dafĂŒr geradezu an. Medien sind dabei nicht nur Katalysatoren fĂŒr eine Transformation von BrĂ€uchen, sie liefern ganz nebenbei sogar eine lĂŒckenlose Dokumentation der Entwicklungen.
Ein Weihnachtsmann mit Smartphone ist erstaunt ĂŒber den Einfluss sozialer Medien auf Weihnachten.
© deagreez
Erstellt :ago

Traditionen erhalten eine neue Form

Bemerkenswert ist, wie sich BrĂ€uche, ob religiös motiviert oder nicht, ĂŒber Jahre halten, ihr Ursprungsgedanke möglicherweise verloren geht und Dinge dann einfach nur noch gemacht werden, weil sie immer so gemacht wurden.

Es scheint fast so, als wĂŒrde sich die Welt weiterdrehen und gesellschaftliche Fortschritte eine bessere Zukunft versprechen – Feste wie Weihnachten aber wie eine Kapsel sind, in der die Zeit stehen geblieben ist.

So werden Rituale stets beibehalten, erhalten lediglich eine andere Form. Den wohl grĂ¶ĂŸten Einfluss darauf hat vor allem in den letzten Jahren die Digitalisierung mit ihren technologischen Entwicklungen und die Mediennutzung in allen Bevölkerungsschichten. Wie sieht er also aus, der Einfluss von Technik und Medien auf das Weihnachtsfest?

Weihnachtsgeschenke to go dank Onlineshopping

Das gegenseitige Beschenken ist eine Geste der WertschĂ€tzung und impliziert ein Nachdenken darĂŒber, wie man anderen auf möglichst persönliche Art und Weise eine Freude machen könnte. Das Geschenk ist mehr als nur ein Objekt; es ist immer auch eine Offenbarung der schenkenden oder beschenkten Person und trifft eine Aussage ĂŒber die Beziehung beider Parteien.

Wenn heute schlichtweg ein Amazon-Link oder der digitale Wunschzettel auf selbiger Plattform verschickt wird, wird dieser Prozess ĂŒbersprungen. Eine PrĂ€ventionsmaßnahme gegen EnttĂ€uschungen ist es allemal und auch die Effizienz dieses Vorgehens ist nicht von der Hand zu weisen – quasi eine Automatisierung des Alltags. Doch was steht dann noch hinter dem Akt des Schenkens?

Auch soziale Medien werden immer mehr zum Onlineshop. Nicht nur erschreckend genau personalisierte Werbeanzeigen im News Feed verfĂŒhren zum One-Click-Kauf, nun werden auch Instagram Stories damit bevölkert – ob man es will oder nicht. Doch damit nicht genug: Produktplatzierungen in den Posts, Videos und Stories von Influencern werden uns zusĂ€tzlich ans Herz gelegt. Und der Kauf ist so einfach geworden wie nie:

Teilweise muss die Plattform nicht einmal mehr verlassen werden und es reicht ein Wisch nach oben, um das nĂ€chste Weihnachtsgeschenk einzusammeln, das völlig ohne Shopping-Wahnsinn in ĂŒberfĂŒllten Einkaufszentren bequem nach Hause geliefert wird.

Ewiger Vergleich dank Social Media

Soziale Medien können ein Ort der Vernetzung, Inspiration und Mitfreude fĂŒr die Erlebnisse und Errungenschaften anderer sein. Nicht selten schlĂ€gt es jedoch ins Gegenteil um:

Bilder, Videos und Posts als Zeugnisse durchweg positiver Erfahrungen befeuern den Vergleich mit dem eigenen Leben, der nur schlecht ausfallen kann, weil soziale Medien nicht nur ĂŒber Filter fĂŒr Fotos, sondern auch fĂŒr negative Erfahrungen verfĂŒgen.

Gerade an Weihnachten sind die Feeds und Stories voll und ĂŒbervoll mit glĂŒcklichen Familien, bescheuerten WeihnachtsmĂŒtzen und einer Lichterketten-Romantik, die natĂŒrlich mit kabellosen LEDs aufgebaut wird, nur nicht mehr so viel Lametta wie frĂŒher beinhaltet. WĂ€hrend uns in alten Zeiten höchstens Loriots “Hoppenstedts” und “Kevin – Allein zu Haus” vorgehalten haben, wie ein Weihnachtsfest auszusehen hat, bekommen wir die volle Ladung nun auch von den Internet-Personas unserer Freund*innen und Stars und Sternchen mit Instagram Account.

Zwar kann es auch eine interessante Studie sein, wie andere Menschen ĂŒber den Globus verteilt ihr Weihnachten begehen, doch ist es immer auch ein Trigger fĂŒr diejenigen, die ihr Fest jenseits heiler Familien erleben, unter der oft inhĂ€renten HeteronormativitĂ€t leiden oder es aus den verschiedensten GrĂŒnden allein oder gar nicht feiern.

Musikalische Einstimmung dank Spotify

Sind wir ehrlich: Niemand mag Weihnachtslieder. Trotzdem soll die Weihnachtsstimmung mit einem Rundumschlag aller Sinne herbeigefĂŒhrt werden. Und was spricht Emotionen besser an als Musik? Knisternde Platten alter Klassiker, liebevoll zusammengestellte Mixtapes oder gar der Versuch der eigenen musikalischen BetĂ€tigung im Familienchor unterm Baum wurden hier jedoch durch Streaming-Dienste wie Spotify, Apple Music, Amazon Music und Co. abgelöst.

Ein Klick – oder ein freundlicher Hinweis an die digitale Assistentin Alexa – ruft eine Playlist mit den grĂ¶ĂŸten Weihnachtshits auf, die die peinliche Stille beim Öffnen eines vielleicht doch nicht so passenden Geschenks gekonnt ĂŒbertönen und den ganzen Abend in eine wohlige D-Moll7b5-Stimmung hĂŒllen. Der inflationĂ€re Einsatz diverser Weihnachtsschellen im immergleichen Rhythmus ist dabei vielleicht einfach die musikgewordene Sicherheit, dass manche Dinge eben immer so bleiben, wie sie sind.